Twitter-Krise: Welche Microblogging Alternativen gibt es?

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Archetype Redaktion

Welche Microblogging Alternativen gibt es zu Twitter? Twitter gibt es als Kurznachrichtendienst seit knapp 16 Jahren. Seit Elon Musk als neuer Besitzer von Twitter das Ruder übernommen hat, fühlen sich viele Menschen und Marken nicht mehr wohl auf der Plattform. Zwar will er bald als CEO wieder abtreten, doch der Untergang der Plattform scheint inzwischen in greifbare Nähe zu rücken. Die negativen Entwicklungen der letzten Monate waren für Mitarbeitende und Nutzer*innen gleichermaßen schockierend. Wir haben uns deshalb potentielle Alternativen zu Twitter angesehen und nachgeforscht: Wer steckt dahinter?

Post.

Mit Post. sitzt eine neue Plattform am Start, die vieles ähnlich, doch einiges ganz grundsätzlich anders angeht. Hinter Post. steht Noam Bardin, der 2009 den GPS-Navigationsdienst Waze aus der Taufe gehoben und bis 2021 geleitet hat (auch als der Dienst 2013 von Google gekauft wurde). Sein Einladungstext klingt jedenfalls spannend. Es sollen bei Post. die guten alten Versprechen der sozialen Netzwerke eingelöst werden: Spaß, Ideenaustausch, Vernetzung, Teilen von Wissen statt Wut, Beleidigungen und Zeitverschwendung. Diese Ambition ist für mich ein klares Vorschuss-Pro.

Ähnlich wie bei Twitter sollen die Nutzer Inhalte auf ihrem Konto kommentieren, liken, teilen und neu posten können. So weit so bekannt. Spannend ist, was Post. zusätzlich anbietet. Es gibt nämlich einen weiteren Reaction-Button in Form einer Dollar-Münze. Mit einem Klick darauf können die Post.-Nutzer*innen einzelne Beiträge mit einem Trinkgeld in Form von Points honorieren. Diese Points kann der Verfasser gegen bare Münze eintauschen (1Pts=0,01 Dollar). Außerdem können die Nutzer*innen auch ganze (werbefreie) Artikel gegen Points kaufen. Reuter und USA Today zum Beispiel bieten das schon an. Die Funktion steht aber nicht nur den Medien zur Verfügung, sondern auch jedem freien Verfasser.

Mit diesem fairen Honorar-System unterscheidet sich Post. deutlich von Twitter. Die noch wichtigere Unterscheidung ist aber ideeller Natur. Post. will laut Technik-Chef Noel Baren ein „Anti-Twitter“ sein, das „Sicherheit, insbesondere für Menschen, die ohne die Vorurteile radikaler Administratoren leben möchten“ bietet. Wen er damit wohl meint?

Jörg Lenuweit – Content Strategist bei Archetype

Tumblr

Die Plattform ist ein alter Bekannter, geriet zwischenzeitlich in Vergessenheit und erlebt nun ein Revival. Gegründet wurde Tumblr bereits 2007 als Microblogging und Social Networking Website von David Karp, einem Webmaster, Entrepreneur und Blogger, der lange Zeit CEO von Tumblr blieb. 2019 wurde die Plattform von Automattic aufgekauft, die vor allem für WordPress.com bekannt sind (und ihre Mitarbeit an der Open Source Software WordPress). Der derzeitige CEO Matt Mullenweg, ein Entrepreneur und Web-Entwickler, ist ein New Work Verfechter und Millenial. Es scheint also, als wäre Tumblr in guten Händen – vor allem im direkten Vergleich zu Twitter.

Tumblr selbst gab im Februar 2021 an, dass über 518 Millionen Blogs auf der Seite zu finden sind. Inzwischen erlebt auch diese Plattform, wie viele andere Twitter-Alternativen, eine neue Welle an Anmeldungen.

Mullenberg liefert auf Twitter einen Side-Kick nach dem anderen in Richtung Musk. Nicht nur das offensive Anwerben ehemaliger Twitter-Mitarbeiter*innen, sondern auch der Post zu “2 useless checkmarks” für 7,99 $ sprechen für sich und lassen den Tumblr-CEO sympathisch dastehen. Am 21. November postete Mullenberg folgenden Tweet “I think the biggest opportunities for influencing @Tumblr come from people who helped create Twitter’s timeline, ranking, and self-serve ad systems.” Interessant ist auch, dass Mullenberg Tumblr mit der Activitypub ausstatten will: Diese offene Technologie kennen wir bereits aus dem Fediversum. Wir dürfen weiterhin gespannt sein, in welche Richtung sich der Microblogging-Dienst in den nächsten Monaten entwickelt.

Michaela Harfst – Senior Consultant Digital & Content

Mastodon


Das dezentrale und etwas nerdig daherkommende Mastodon ist derzeit sicher die bekannteste unter den Microblogging Alternativen zu Twitter, die öffentlich diskutiert wird. Gegründet wurde die Plattform vom deutschen Software-Entwickler Eugen Rochko. Der Hauptunterschied zu Twitter liegt darin, dass Mastodon auf einer Open-Source-Technologie basiert und Teil des dezentralen Fediverse-Netzwerks ist. Mastodon gehört somit nicht einem Unternehmen, die Software kann eigenverantwortlich auf eigenen Instanzen (Servern) betrieben werden.

Die Mastodon GmbH von Eugen Rochko ist ein Non-Profit-Unternehmen und finanziert sich durch Spenden – Angebote von Investoren aus den USA wurden bislang abgelehnt. Mastodon hatte seit dem Start 2016 eine relativ kleine, aber treue Community, die die Software zum großen Teil aus Überzeugung nutzen, um den großen Tech-Playern etwas entgegenzusetzen, was dem Grundgedanken des freien und dezentralen Internet nahe kommt. Im Jahr 2022 kamen in Wellen viele Nutzer*innen hinzu, vor allem nach der Twitter-Übernahme durch Musk. Während es im Januar 2020 noch 3,5 Millionen Nutzer*innen waren, stieg die Zahl im Januar 2023 auf 9 Millionen.

Eine für den Erfolg einer Social-Media-Plattform überaus wichtigen Zahl sinkt aber bereits wieder: Laut eigenen Angaben von Mastodon lag die Zahl der aktiven Nutzer*innen in der ersten Januarwoche bei 1,8 Millionen. Anfang Dezember lag diese noch bei 2,5 Millionen. Und das ist vielleicht auch die größte Herausforderung von Mastodon, wenn es um das erklärte Ziel von Eugen Rochko geht, sich neben den großen Social-Media-Plattformen zu etablieren: Der Aktivitätslevel ist stark abhängig davon, was Elon Musk tut.

Die Vorteile von Mastodon für Unternehmen als Alternative zu Twitter liegen auf der Hand: die dezentrale Struktur bietet Unabhängigkeit und die größtmögliche Kontrolle über die eigene Plattform. Gleichzeitig unterstützt man einen sozialen Grundgedanken statt eines Konzerns. Vergessen sollte man jedoch nicht, dass Mastodon noch immer ein Nischenkanal ist und gerade für Unternehmen eine eher geringe Reichweite mitbringt. Dass man alle Follower von Twitter dorthin mitnimmt, halten wir für unrealistisch. Auch Werbung kann dort nicht geschaltet werden. Falls man sich entscheidet, eine eigene Instanz aufzusetzen, entsteht zudem ein hoher technischer Aufwand sowie eine Verantwortung für die Content Moderation.

Ich gehöre auch zu denen, die sich im letzten Jahr von Twitter immer mehr abgewendet haben, schweren Herzens, weil die Plattform seit Jahren mein bevorzugtes Netzwerk ist bzw. war. Mastodon nutze ich seit Herbst letzten Jahres aktiver und mir gefällt die freundlichere Atmosphäre dort, besonders im Vergleich zum immer toxischer gewordenen Twitter (was nicht nur an Elon Musk lag). Meine Empfehlung an Unternehmen ist, die Plattform im Auge zu behalten und sich zu informieren. Eine wirkliche Twitter-Alternative ist Mastodon aus den hier genannten Gründen allerdings (noch) nicht.

Lars Basche – Head of Strategic Planing

Hivesocial

Auch Hivesocial reiht sich in die Schlange potenzieller Microblogging Alternativen zu Twitter ein. Ein*e gewisse*r Raluca sei von den Social Media-Plattformen und deren Algorithmen so frustriert gewesen, dass er/sie kurzerhand eine eigene Plattform initiiert hat. Bisher lässt sich Hivesocial über iOS nutzen, für Android steht bisher nur eine Beta-Version zum Download bereit. Eine Desktop-Version sucht man noch vergeblich, lediglich eine Website ist vorhanden. Bis jetzt summen laut den Machern immerhin bereits eine Million Nutzer in dem virtuellen Bienenstock. Ironischerweise erfolgte diese Bekanntmachung auf Twitter.

Inhaltlich bewegt sich Hive zwischen Instagram und Twitter. Unter den Kategorien “Nur Bilder” und “Bilder mit Text” findet man sich in einem Instagram-artigen Feed wieder, wohingegen “Nur Text” stark an die klassische Twitter-Darstellung erinnert.

Hive folgt bei Inhaltsvorschlägen aber keinem Algorithmus, sondern stellt die Feeds chronologisch dar. Bei der Anmeldung legt man mindestens drei Interessengebiete fest, um sich mit den Peers zu connecten. Unter “Discover” lädt Hive dazu ein, seinen Horizont in anderen Bereichen zu erweitern. Diese sind nach dem jeweiligen Thema geordnet und stellen ohne Algorithmus wohl die einzige Möglichkeit dar, außerhalb der eigenen Wabe umherzufliegen. Aber immerhin werden einem so auch keine Bilder protziger Sportkarren in den Beauty-Feed gespült, nur weil man sich einmal in die Auto-Bubble verirrt hat.

Hatespeech, Hetze und “White Supremacy” sollen im Hive keinen Platz haben. Die User können sie melden, woraufhin sie entfernt werden. Aktuell ist von Hive dennoch abzuraten. Erst kürzlich haben die Macher die Server heruntergefahren, um schwere Sicherheitslücken zu schließen, die die App zu einer Spielwiese für Hacker hätten machen können. Und ob App und Server nach den Updates das Summen tausender neuer User handlen können, bleibt abzuwarten.

Lukas Hochgesang – Consultant Content & PR

Bunte neue Microblogging-Landschaft

Wann – und ob überhaupt – es sich bald ausgezwitschert hat, lässt sich natürlich noch nicht sagen. Fest steht aber, dass die alternativen Plattformen in dieser Phase der Unsicherheit derzeit viel Aufmerksamkeit und auch Zulauf erhalten. Ob es am Ende einen Sieger geben wird, der sich gegen alle anderen durchsetzt, ist auch nicht sicher. Und wäre es nicht spannend, in Sachen Microblogging Alternativen zu Twitter eine neue Medien-Vielfalt zu bekommen, wo verteilte Mastodons neben emsigen Bienenstöcken tröten, guter Content mit barer Münze honoriert wird und sich freizügig tummeln kann, wer was zu sagen hat?


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